Wo wollen wir hin? Diese Frage, die meinen Beitrag von 2020 prägte, gewinnt in Zeiten multipler Krisen – Klimawandel, Krieg, soziale Ungleichheit – eine neue Dringlichkeit. Damals skizzierte ich die Gefahren einer Demokratie, die dem Diktat der Gewinnmaximierung erliegt und in der Kultur und Bildung zu bloßen Konsumgütern verkommen. Doch wie finden wir aus dieser Sackgasse? Markus Gabriels “Neuer Realismus” bietet uns einen philosophischen Kompass, um die Koordinaten einer zukunftsfähigen Gesellschaft neu zu bestimmen.
Gabriel bricht mit dem “ontologischen Monismus”, der Annahme einer allumfassenden Wirklichkeit. Stattdessen postuliert er eine Vielzahl von “Sinnfeldern”, eigenständigen Bereichen der Bedeutung, die nicht auf eine übergeordnete Einheit reduzierbar sind. Diese “ontologische Anarchie” mag zunächst verwirrend erscheinen, doch sie birgt erstaunliches Potential für die Demokratieerhaltung. Denn sie ermöglicht es, den Blick auf die konkreten Probleme zu lenken, die uns umgeben, ohne uns in abstrakten Ideologien zu verlieren.
Für Kultur und Bildung bedeutet dies:
- Vielfalt statt Einfalt: Gabriels Philosophie ermutigt uns, die Heterogenität von Kultur und Bildung anzuerkennen. Es gibt nicht die Kultur, das Wissen, sondern eine Vielzahl von Ausdrucksformen, Wissensformen und Perspektiven. Diese Vielfalt gilt es zu schützen und zu fördern.
- Bedeutung statt Marktwert: Kultur und Bildung sind keine bloßen Konsumgüter, sondern “Sinnfelder”, die unser Leben bereichern und uns als Menschen prägen. Ihr Wert lässt sich nicht in Euro und Cent messen.
- Teilhabe statt Passivität: Gabriel betont die aktive Rolle des Individuums in der Gestaltung der Wirklichkeit. Kultur und Bildung sind keine fertigen Produkte, die wir nur konsumieren, sondern Prozesse, an denen wir uns beteiligen.
Konkret bedeutet dies für die Demokratieerhaltung:
- Dezentrale Strukturen: Anstatt auf zentrale Steuerung zu setzen, brauchen wir dezentrale Strukturen, die die Vielfalt der Sinnfelder berücksichtigen.
- Förderung von “Nischen”: Neben den etablierten Kultur- und Bildungseinrichtungen müssen wir auch “Nischen” fördern, in denen sich neue Formen von Kultur und Wissen entwickeln können.
- Partizipation und Diskurs: Demokratie lebt von der aktiven Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Wir brauchen Räume für den öffentlichen Diskurs, in denen verschiedene Perspektiven aufeinandertreffen und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird.
Gabriels neuer Realismus ist ein kraftvolles Instrument zur Demokratieerhaltung. Er ermöglicht uns, die Herausforderungen unserer Zeit mit einem neuen Blick zu betrachten und neue Wege zu gehen. Lasst uns gemeinsam die Zukunft gestalten, in der Kultur und Bildung ihren rechtmäßigen Platz einnehmen – als Sinnfelder, die unser Leben bereichern und unsere Demokratie stärken.