Herzinfarkt II

Das Leben nimmt keine Gefangenen. Es ist mein Geburtstag und Abends bekomme ich die gleichen Symptome wie beim letzten Mal. Gut, ich hatte auch zwischendurch mit Panikattacken zu kämpfen und die fühlten sich recht ähnlich an. Aber nicht in der Intensität. Meine Frau und ich werden unruhig, wissen nicht damit umzugehen, bis es nicht mehr anders geht und wir entscheiden, es muss ein Rettungswagen kommen. Herzlichen Glückwunsch!

Und tatsächlich, im schnell gemachten EKG gibt es Extrahebungen, da stimmt etwas nicht, muss geprüft werden. Das letzte Mal nicht ganz verdaut, es ist keine 3 Monate her, geht es mit Blaulicht in die Notaufnahme. Dort angekommen gibt es erstmal Verwirrung, wir sind wohl nicht in den richtigen Räumlichkeiten, Personal und Krankenwagen-Besetzung ist heiß am diskutieren. Nach ein paar Minuten ist es trotzdem entschieden, ich gehe in den Herzkatheter. Dort angekommen kenne ich die Prozedur, es ist das dritte Mal. Es dauert lang, mein sediertes Empfinden lässt eine genaue Bestimmung nicht zu. Wieder werden Stents gesetzt. Schon wieder.

Danach finde ich mich auf der Intensivstation wieder. Ich bin an Geräten angeschlossen, alle paar Minuten wird mein Blutdruck per automatischer Manschette am linken Oberarm gemessen. Die Werte sehen ganz gut aus, ähnlich der letzten Wochen seit dem ersten Infarkt. Warum also schon wieder? Ich habe doch alles gemacht. Die Medikamente, abnehmen, Reha und gute Ernährung. Trotzdem hat sich wieder ein Infarkt gebildet. Ich fühle Ohnmacht. Verdammt nochmal, alle messbaren Werte sahen gut aus.

Insgesamt fühle ich mich fitter als beim letzten Mal. Das Trauma scheint nicht ganz so groß wie im Mai. Ich kannte alle Vorgänge. Beruhigen tut es mich nicht. Ich bringe die Zeit auf der Intensivstation hinter mich und werde auf die Kardiologie verlegt. Ich werde diesmal nicht per Telemetrie überwacht, bekommen schnell wieder etwas Bewegungsspielraum. Laufe ein wenig, der Kreislauf spielt ganz gut mit. Am Freitag dann die Nachricht mit der ich nicht gerechnet habe. Man habe meinen Fall in der Kieler Herzkonferenz besprochen und empfehle eine 4-fache Bypass-OP. Es gebe Bildgebungen in meinem Kranzgefäss-System, die eine “tickende Zeitbombe” darstellen. Man müsse auf Nummer Sicher gehen. Ich muss schlucken, bin überfordert. Das ist eine große OP. Da wird der Brustkorb geöffnet, das Herz angehalten, die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und Arterien zur Überbrückung der schlechten Wege gelegt.

Damit muss ich erst umgehen lernen. Ich bin 49, das ist alles sehr früh. Fällt schwer das zu akzeptieren. Aber was bleibt mir anderes übrig. Unmöglich die Situation selbst einschätzen zu wollen. Die Lage ist zu komplex. Kann man nicht mal eben die KI fragen, sollte man jedenfalls nicht. Da hilft nur vertrauen. Das fällt mir allerdings alles andere als leicht. Angst- und Panikgefühle wechseln sich immer wieder ab. Die Welt außerhalb verschwindet die meiste Zeit, die Gedanken kreisen fast ausschließlich um das einen Thema.

Hilfe zu bekommen ist nicht einfach. Die Frage nach psycho-kardiologischer Unterstützung wird von allen Beteiligten mit Achselzucken begleitet. Bin sicher nicht der Erste der Bedarf anmeldet, Strukturen sind dafür aber keine vorhanden, jedenfalls nicht in der Region. Braucht man einen Facharzt-Termin, geht nichts ohne einen sogenannten Hafa-Antrag. Wenn man sich direkt meldet, gibt es eine Termin Monate später. Der Hafa-Termin garantiert ein Erstgespräch in den nächsten drei Wochen. Ohne Garantie auch benötigte Anschlusstermine zu bekommen. Außerdem warte ich jetzt seit über zwei Wochen auf die Rückmeldung von dem Krankenhaus welches die Bypass-OP durchführen soll. Man selber kann sich nicht melden, wenn man es versucht, landet man nirgendwo. Dabei möchte ich doch erstmal nur Informationen. Ich möchte einen Plan wie es weitergeht. Dieses Warten zermürbt mich, ich weiß nicht, wie gefährdet ich bin. Derart Fragen werden allerdings nicht berücksichtigt gegenüber dem Patienten. Es gibt einen Hintergrundprozess, ohne Anspruch auf Sichtbarkeit.

Ich hoffe wie ein Katholik in der Kirche.

4 thoughts on “Herzinfarkt II

  1. Meine Frau hatte eine Großtante, sie war 72 und war laufend müde und “schlief im stehen ein”. Sie hieß “Marichen”. Die Mutter meiner Frau schleppte Marichen mit verbaler Gewalt zum Arzt- Unterversorgung des Herzmuskels…. Marichen war viel zu Gast im Hause meiner Schwiegereltern, hatte dort sogar ein eigenes Zimmer- denn ihr Mann war schon vor 20 Jahren verstorben und die Kinder groß und Auswärts. So lebte sie zu zwei Dritteln bei meinen Schwiegereltern. Marichen wollte keine OP mit mehreren Stands. Meine Schwiegermutter entgegnete darauf, das sie nicht Marichens Leiche aus ihrem Haus räumen wolle…. 3 Tage hing der Haussegen schief und Marichen hauste in Ihrer Wohnung. Am 4 Tag kam sie und sagte: “Ich will nicht alleine sterben, deswegen mache ich es!” Alle nahmen sie in die Arme. Marichen wurde 85 Jahre alt und hatte noch einmal 12 gute Jahre- mit Radfahren, Feiern etc.
    Dies ist die wahre Geschichte von Maria Schröder aus D.- Sie soll Dir sagen: Am Ende wird alles gut. Hindernisse und Untiefen gehören dazu. Ich wünsche Dir alles Gute. Ein Artikel der zeigt, das auch dieses Internet von Menschen gemacht wird.

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