Herzinfarkt

Dienstag. Halt auf freier Strecke, würde man wohl sagen. Die Oberarme schmerzen, ich bin kurzatmig, mir ist schwindlig. Irgendetwas ist nicht richtig. Ich bin nicht seit gestern hier, aber dieses Gefühl hatte ich noch nicht. Trotzdem, ich ahne etwas, möchte, dass sich das jemand anschaut. Ich rufe beim Hausarzt an und darf noch am Vormittag vorbei kommen. Ich warte noch kurz auf meine Frau damit sie mich begleiten kann. Vor Ort geht es schnell. Ich schildere die Symptome, werde ans EKG angeschlossen, nach 30 Sekunden erkennt der Arzt den Ernst der Lage: Herzinfarkt. Es wird geschäftig um mich herum. Mir werden Zugänge gelegt, ich bekomme Medikamente und ein paar Minuten später ist auch schon der Krankenwagen da. Vielen Dank Gesundheitssystem, dass du so gut organisiert bist.

Ich komme am Krankenhaus an, gehe sofort in den Herzkatheter, bekomme alles mit. Schnell ist der Infarkt gefunden. Doch dann gehen die Lichter aus.

Ich wache auf, liege, habe eine Maske auf, muss mich übergeben. Alles ist irgendwie hektisch. Ich werde in ein Zimmer auf die Intensivstation gebracht, werde verkabelt und Dinge gefragt. Meine Emotionen kommen nicht mit. Ich möchte meine Frau sehen.

Endlich, die Hektik ist vorbei, obwohl mich ein piepen vieler Geräte begleitet. Ich werde aufgeklärt: Es wurden 2 Stents gesetzt, vorher kommt es durch die elektrische Aktivierung nach erneuter Blutversorgung des Herzkranzgefäßes zu Kammerflimmern. Ich werde mehrfach mit dem Defibrillator geschockt, danach sogar 30 Sekunden reanimiert. Das käme bei cirka 10% der Fälle vor. Ich kann die Informationen kaum verarbeiten. Das war knapp. Der Arzt würde es herunterspielen, mir gefriert das Blut in den Adern. Verarbeiten kann ich es nicht. Man habe noch eine weitere Stelle gefunden die noch durchgängig ist, aber drei Tage später bei einem zweiten Herzkatheter versorgt werden soll. Stent Nummer 3 ist also in Planung.

Ich bin 48. Das ist zu früh entscheide ich. Warum ich? Ich habe gut gelebt, nicht perfekt, aber ein Leben auf der Überholspur wie andere es feiern, da war ich weit von entfernt. Im Gegenteil: Ich hatte durchschnittlich gute Nahrung, Bewegung, Nichtraucher, kaum Alkohol, die letzten Jahre gar keinen. Das hier kommt aus dem Nichts, hat sich nicht angekündigt. Gut, wer geht zur Kardio-Vorsorge, außer Menschen die sowieso Probleme damit haben. Es erschüttert mich im Mark, das werde ich die folgenden Tage noch spüren, spüre es heute und wohl noch eine ganze Weile.

Stent Nummer drei und Krankenhausaufenthalt bringe ich ganz gut hinter mich. Ich ahne schon, dass meine Psyche die Vorgänge weniger gut hinter sich gebracht hat als mein Körper. Zuhause angekommen, bin ich erst mal froh im eigenen Bett liegen zu können, Privatsphäre zu haben. Ein Krankenhaus ist dann doch kein Hygge-Erlebnis. Obwohl ich wahnsinnig dankbar bin für alles was dort geleistet wurde und dem tollen Personal auf allen Ebenen. Auch und außerdem noch zwei tolle Zimmergenossen mit denen es sehr schönen Austausch gab, Grüße gehen raus.

Was aber dann nach 24 Stunden Zuhause folgt ist Backlash pur. Der Kopf beginnt die Dinge zu verarbeiten und reagiert erstmal mit Panik. Klar ist, das Gefühl der Sicherheit ist erst mal weg. Ich war bisher im Großen und Ganzen der Gesunde. Der, der selten krank war. Jetzt gibt es ein erhöhtes Risiko und das gilt es zu akzeptieren, von jetzt auf gleich, daran scheitere ich erstmal im großen Stil. In der zweiten Nacht muss mich meine Frau nochmal in die Notaufnahme bringen, ich kann Angst und körperliche Symptome nicht mehr auseinanderhalten. Alles dauert Ewigkeiten vor Ort und als dann endlich EKG und andere Vitalwerte gechecked sind ist klar: Es ist nichts. Meine Psyche hat nicht mitgespielt.

Auf eine Art beruhigt es mich. Die folgenden Tage kommt die Angst immer wieder, aber Meditationen per App bringen mich gut runter. Ich stelle fest: Das wird noch eine Reise! Das Urvertrauen in den Körper kann man nicht mal eben so wiederherstellen. Zumal sich bald raus stellen soll, ich habe eine genetische Disposition. Mein LPa-Wert, ein Protein welches für den Transport von Fetten im Blut zuständig ist, ist dauerhaft erhöht und bedingt somit das erhöhte Risiko für Gefäßverschlüsse. Und Stand Heute gibt es dagegen kein Medikament. Man kann ihn nicht beeinflussen, nur alle anderen wichtigen Werte auf Vordermann bringen und so das Risiko wieder kleiner halten. Das ist jetzt meine Aufgabe. Die gute Nachricht: RNA-Wirkstoffe um den LPa-Wert zu senken sind in der Zulassung, das erste könnte 2026 auf den Markt kommen.

Quo vadis, Monsieur Hamdorf? Tja, gute Frage. Jetzt heißt es erst mal Tag für Tag und gesünder als gesund leben. Akzeptieren was passiert ist, und dass es ein weiter so nicht geben kann. Ich werde mich regelmäßigen Untersuchungen stellen und das Leben unter Vorbehalt annehmen. Am Ende stehe ich gegen eine Statistik, einer Wette auf die Zukunft. Und ich habe Unterstützung dabei. Da haben sich viele gemeldet, deren Mitgefühl Ansporn genug sein sollte die Erkenntnisse zu internalisieren. Aber vor allem: Meine Frau. Ohne sie macht gar nichts Sinn. Sie ist der Fels in der Brandung. Was mit ihr die letzten Jahre gewachsen ist, ist größer als alles.

Ich atme.

“Und für das Herz ist das Leben einfach, es schlägt so lang es eben kann.”

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